• Eine spezielle WM – ein Fazit

    Heute endet die 2022er WM in Katar mit dem von vielen erwarteten Finale zwischen Frankreich und Argentinien. Die WM war in vielerlei Hinsicht speziell, vielleicht sogar bemerkenswert, und dürfte sich in dieser oder ähnlicher Form kaum wiederholen.

    Da war zunächst die zeitlich sehr frühe Wahl bereits im Jahr 2010 von Katar als Austragungsort im Doppelpack mit dem Zuschlag für Russland (2018). Es regt sich im Nachhinein der Verdacht, dass eine günstige Komposition des FIFA-Wahlgremiums genutzt werden sollte, um sicherzustellen, dass Katar ausgewählt würde. Dass es bei der Wahl Katars nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, scheinen mehrere Untersuchungen und Berichte zu bestätigen.

    Eine weitere Besonderheit der WM in Katar war ihre Austragung in mehr oder weniger einer Stadt bzw. einer urbanen Agglomeration – nämlich in Doha. Die größte Entfernung zwischen den Stadien beträgt 55km. Das machte es möglich während der Gruppenphase und der Achtelfinalrunde zwei Spiele pro Tag zu sehen, obwohl das bei Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln (und Taxen) ziemlich „sportlich“ war im Hinblick auf Logistik und Zeit. Aber auch für weniger ehrgeizige Fans (wie ich) war es aufgrund der geringen Entfernungen möglich jeden Tag ein Spiel zu sehen. Dadurch kam ich auf 13 Spiele in 14 Tagen, die ich netto vor Ort war. Was ich an Ausgaben für Transport zu den Austragungsorten in Katar einsparte, gab ich jedoch für die hohen Ticket-Preise wieder aus. In Russland kosteten die Flüge von Moskau nach Sotchi oder Kasan jeweils mehr als 250EUR, aber die Tickets in den Kategorien 2 und 3 waren für unter 100EUR zu haben. In Katar kosteten die Eintrittskarten für die Kategorie 1 (die von der Position her vergleichbar mit Kategorie 2 in Russland waren) zwischen 200 und 300 EUR, die für Kategorie 2 (vergleichbar mit Kategorie 3 in Russland) immerhin noch zwischen 120 und 180EUR. Kein Wunder, wenn die FIFA nun jubelt, dass die WM in Katar die bislang profitabelste in der Geschichte für den Verband gewesen ist. Die happigen Ticketpreise haben sicherlich dazu beigetragen.

    Eine dritte Eigentümlichkeit der WM in Katar war der immense mediale Gegenwind, den sie besonders in Europa und hier in Deutschland, Holland oder Dänemark erfuhr. Das Interesse an der WM war in Deutschland noch nie so schwach wie dieses Mal. Wie wir durch Zufall herausfanden – ein Gespräch mit einem Journalisten während eines Spiels – hatte das wohl auch damit zu tun, dass deutsche Medien keine oder kaum Beiträge senden und veröffentlichen wollten, die nicht kritisch gegenüber Katar waren. Dadurch entstand nicht nur ein etwas verzerrtes Bild des Ausrichterlandes, sondern wurde auch die Bereitschaft in der deutschen Öffentlichkeit, die gute (wenngleich nicht begeisternde) Stimmung vor Ort aufzugreifen und den Fußball (der wurde ja auch noch gespielt!) zu genießen.

    Das Stimmungstief wurde natürlich auch durch das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft und die Austragung im europäischen Winter befeuert. Wer will schon gerne bei Glühwein und dick vermummt draußen in der Fan-Meile Spiele anschauen? Die Winter-WM hatte aber auch noch andere Konsequenzen. Kein Team (mit der Ausnahme Katars) konnte sich auf das Turnier vorbereiten. In allen wichtigen Ligen lief der Spielbetrieb bis eine Woche vor Beginn der WM. Das kam eingespielten Mannschaften zu Gute und hatte wohl auch zur Konsequenz, dass im Vergleich zu vorherigen Turnieren sehr wenig Tore nach Standard-Situationen fielen. Das war u.a. bei der deutschen Mannschaft zu beobachten, der es trotz unzähliger Ecken und einiger Freistöße aus guter Position nicht gelang, daraus einen Treffer zu machen. Und dies, obwohl doch schon seit einiger Zeit ein spezieller Trainer für Standard diese Schwäche beheben soll.

    Ein weiterer besonderer Punkt ist, dass diese WM – obwohl von Katar ausgetragen und organisiert – rasch als „arabische WM“ adaptiert wurde. Somit kann nun auch die letzte große Weltregion für sich reklamieren, eine WM ausgetragen zu haben – nach Lateinamerika 1930, 1950, 1962, 1978 und 2014, Mittelamerika 1972 und 1986, Nordamerika 1994, Asien 2002 und Afrika 2010. Die meisten WMs fanden in Europa statt (1934,1938, 1954, 1958, 1966, 1974, 1982, 1990, 1998, 2006, 2018).

    Wir hörten von verschiedenen Kataris, dass sie es besser gefunden hätten, wenn statt ihrer Mannschaft, eine andere, stärkere arabische Mannschaft als „Gastgeber“ fungiert hätte – sie schämten sich des Auftrittes des Teams aus Katar, der schwächsten Gastgeber-Mannschaft aller Zeiten. Vielleicht ist das auch der Grund, warum bei den Spielen Katars viele Zuschauer bereits zur Halbzeit das Stadion verließen. Bei vielen Spielen, die ich besucht habe, waren etliche Zuschauer (auch weibliche) aus Katar, die an ihren „Bademänteln“ (wie Sandro Wagner despektierlich-witzig sagte) erkennbar waren, zugegen und blieben bis zuletzt.

    Als sozusagen „erste arabische“ WM gab es so gut wie keinen Alkohol – nur in der sogenannten Fan-Zone gab es Budweiser Bier (wenn man das Gesöff so nennen kann) zu exorbitanten Preisen: fast 14 EUR für einen halben Liter! Das war zunächst gewöhnungsbedürftig, am Ende aber gar nicht so schwer zu ertragen. Vielleicht ist es vergleichbar mit dem Rauchverbot in Kneipen und Restaurants, das bei der Einführung auch Kassandra-Rufe zum unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des Gaststättengewerbes nach sich zog. Zumindest gab es bei dieser WM keine Ausschreitungen angetrunkener Fans und selbst die an geschmacklosen Gesängen sonst kaum zu überbietenden englischen Fans blieben ruhig.

    Der letzte bemerkenswerte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der sich abzeichnende sportliche Systemwechsel, der dazu beitragen könnte, dass sich die Gewichte im Welt-Fußball zu verschieben beginnen. Spätestens seit Spanien die EM 2008 mit dominantem Ballbesitz-Fußball und aggressivem Pressing gewann, dominierten mit wenigen Ausnahmen Teams auf nationaler und Club-Ebene, die einen ähnlichen Stil bevorzugten. Frankreichs Titelgewinn bei der WM 2018 war jedoch das erste Anzeichen, dass dieser Spielstil nicht mehr unangefochten war; die WM in Katar läutete nun – zumindest für Nationalmannschaften – dessen Ende ein. Deutschland mit Ballbesitzwerten von 70%, aber einer unsortierten, fast schon offenen Abwehr, schied gegen eine Fußball-Mittelmacht wie Japan in der Gruppenphase aus, die bei schnellen Kontern extrem effektiv war; Spanien – quasi das Mutterland des Tiki-Taka Besitzfußballstils – verlor gegen ein extrem defensiv-starkes Marokko im Achtelfinale; und selbst Brasilien, das in der Stil-Anpassung schon weiter schien, konnte sich im Viertelfinale nicht gegen Kroatien durchsetzen, das ebenfalls auf eine solide Abwehr und schnelle Konter setzte. Weitere Opfer der verstärkten Defensive wurden Belgien (Gruppenphase), Engalnd (Viertelfinale) und Portugal (Viertelfinale).

    Dass spielerisch eher limitierte Mannschaften, die aber konterstark waren, wie Japan (bis ins Achtelfinale), Südkorea (Achtelfinale), Senegal (Achtelfinale) oder Marokko (Halbfinale) dagegen vergleichsweise reüssierten und sich mit Argentinien und Frankreich zwei Teams im Finale gegenüberstehen, die für abwehrstarkes Konterspiel mit kurzen Dominanzphasen stehen, unterstreicht den Spiel- und Systemwandel. Dies wurde u.a. dadurch möglich, dass seit einigen Jahren viele Spieler aus diesen Ländern in den starken europäischen Ligen spielen, wo sie sich neben Wettkampfhärte vor allem taktisch-strategische Finessen aneigneten.

    Mal sehen, ob Deutschland seine nicht übersehbaren Defizite in der Abwehr abstellen und in der Offensive effizienter werden kann – dann hätte wir auch wieder eine Chance.

    Ach ja, ich tippe im Finale auf einen knappen Sieg der Franzosen.

  • Fata Morgana oder Science Fiction in der Wüste?

    Nachdem ich jetzt wieder zurück in Lusaka bin, ist es an der Zeit, meine speziellen Eindrücke von der WM in Katar niederzuschreiben, ehe sie allzu sehr verblassen oder eine eigene Wirklichkeit entwickeln.

    Sportlich gesehen hat mich die WM ein wenig enttäuscht. Viele spielerisch eher limitierte Mannschaften haben mit zwei Abwehrriegeln gespielt – also „zwei Busse vor dem Tor geparkt“, wie das einer meiner Freunde treffend beschrieb – und vorne auf Glück (oder den lieben Gott) bzw. ab dem Achtelfinale das Elfmeterschießen gehofft. Das hat zu etlichen umkämpften, aber nicht allzu ansehnlichen Partien geführt (wie Spanien – Marokko, Japan – Costa Rica, Kamerun – Schweiz, Argentinien – Australien). Natürlich gab es auch technisch und taktische Leckerbissen mit etlichen Toren wie die Spiele von England gegen Iran, Spanien gegen Costa Rica, Brasilien gegen Südkorea oder Portugal gegen die arme Schweiz und nicht zu vergessen das Unentschieden zwischen Spanien und Deutschland. Aber das Gros der Spiele war nicht von Technik, Spielvermögen und Taktik geprägt, sondern von Kampf, Abwehrriegeln und theatralischem Opfergehabe einiger Spieler. Leider hatten wir weder die Zeit noch die Mittel, um auch die zweite Hälfte des Turniers vor Ort live zu verfolgen – ich gehe davon aus, dass die Spiele jetzt rasant an Qualität und Tempo zulegen werden.

    Wohl nicht nur ich bin mit einem leicht flauen Gefühl im Magen nach Katar angereist – zu negativ waren die Nachrichten über bürokratische Hürden, exorbitante Preise, potentiell überlastete öffentliche Infrastruktur und digitale Überwachung und Bespitzelung. Kaum etwas davon hat sich bewahrheitet. Schon die Einreise – nachdem ich erst die Hayya-Karte und dann die Einreisegenehmigung rechtzeitig vor Abreise elektronisch erhalten hatte – war einfach: nach 15 Minuten hatte ich Passkontrolle und Zoll durchquert (ob ich auch Alkohol hätte einschmuggeln können?) und saß im Taxi zum Apartment. Alle elektronischen Aktivierungen meiner Tickets sowie die Übertragung eines weiteren Tickets vom Konto eines Kollegen klappten ohne ein einziges Problem. Um die Besucher sofort digital mobil zu machen, verteilten zwei Mobil-Telefonfirmen überall SIM-Karten mit freiem Datenvolumen für bis zu drei Tagen.

    Das Preisniveau war – abgesehen von den Luxus-Oasen – sehr moderat. Im Supermarkt kosteten die Lebensmittel, die z.T. aus Australien/Neuseeland oder Europa importiert werden, auch nicht viel mehr als in Europa. Wir hatten alle in Sorge um erhöhte Preise Lebensmittel aus unseren Heimatorten mitgebracht, was aber eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Noch preiswerter sind geteilte Taxifahrten: die kosteten kaum mehr als in Europa eine Metro-Karte und waren eine willkommene Ergänzung zum Angebot mit der kostenlosen Metro. Auch Restaurantbesuche waren gut erschwinglich. In einem ägyptischen Fischrestaurant, das wir mehrere Male aufsuchten (al Qarmaty) gab es köstliche Meeresfrüchtesuppen gefolgt von gegrilltem Seebarsch für 20€. Also auch hier falsche Befürchtungen.

    Busse und Bahnen waren zwar manchmal voll und wir mussten auch mal einen weiteren Bus bzw. Zug abwarten, aber von einer Überlastung der öffentlichen Verkehrsmittel war nichts zu spüren. Wenn es mal zu kurzfristigen Blockaden kam, dann auf den Zufahrtswegen zu den Stadien. Doch hier regelten unzählige Polizisten – übrigens alle mit neuen AUDI Q7 ausgerüstet! – den Verkehr, so dass es keine langfristigen Probleme gab. Taxis, die sich nicht an die Regeln hielten (etwa keine Passagier auf den Zufahrtstrassen aussteigen zu lassen) wurden sofort fotografiert und später mit einer Strafe von 500 Rial (etwa 160€) belegt. Über die hochmoderne Metro, die ohne Zugführer einen 3-Minuten Rhythmus einhält, hatte ich ja schon berichtet. Doch auch die Flotte an modernen und weitgehend mit WM-Design versehenen Busse ist der Erwähnung wert. Sie dienten in erster Linie als Shuttle-Busse für die nicht direkt an die Metro angeschlossenen Stadien oder zwischen den Stadien. Nach unseren Schätzungen müssen mindestens 400-500 Busse für die WM angeschafft worden sein – wer übernimmt sie nach dem Turnier?

    Digitale Überwachung oder gar Bespitzelung haben wir nicht bemerkt, aber wenn es gut gemacht ist, merkt man davon ja auch nichts! Es gab nur zwei kleine digitale Beeinträchtigungen. Mit meiner katarischen SIM-Karte funktionierte das Telefonieren über WhatsApp nach Europa nicht und einige Banken (glücklicherweise keine Geschäfte und Restaurants) akzeptierten meine VISA-Karte nicht.

    Ansonsten sind mir ein paar skurrile Sachen aufgefallen, die ich auch gerne erwähnen möchte:

    • in einem frisch angelegten Park (eigentlich eine große Grünanlage) hörte ich lautes Vogelzwitschern ohne irgendwelche Vögel zu sehen. Des Rätsels Lösung: die Vogellaute kamen aus Lautsprechern, die überall im Park aufgehängt waren.
    • in unserem Viertel krähten fast ohne Unterlass Hähne – ob dies auch aus einem Lautsprecher kam, konnten wir nicht feststellen!
    • in den Stadien gab es wie angekündigt kein Bier (nur ungenießbares alkoholfreies Budweiser) nur Soft-Drinks und Wasser. Das Besondere: nach dem Kauf erhielt man die Flasche ohne Verschluss. Der wurde vom Verkäufer entfernt, ehe die Flasche überreicht wurde. Warum blieb uns ein Rätsel, denn auch mit unverschlossenen Flaschen konnte man ja noch werfen, wenn man gewollt hätte. Es gab nur öfter mal nasse Füße, wenn mal wieder jemand seine unverschlossene Flasche umgestoßen hatte.
    • nicht nur in unserem Viertel, sondern eigentlich überall, wo es kleine Geschäfte gab, dominierten Friseur-Salons und Wäschereien. Einen dieser Friseur-Salons probierte ich ja mit positivem Ergebnis aus (siehe Bericht über den Barbier von Benzema); er wurde von Leuten aus Sri Lanka geführt und hatte eigentlich immer Kundschaft (wir kamen auf dem Weg zum Bus daran vorbei).
    • auf den bis zu zehnspurigen Stadt-Autobahnen herrschte recht viel Verkehr, der z.T. ziemlich wild war. Eine Besonderheit: kaum jemand machte vom Blinker Gebrauch, sondern wechselte einfach die Spur, wenn der Platz ausreichend schien.

    Die WM in Katar ist bislang eine weitgehend perfekt organisierte Veranstaltung – keine Fata Morgana in der Wüste, wie es wohl einige Journalisten, Aktivisten und Politiker gerne gesehen hätte. Diese WM ist vielmehr eine futuristisch anmutende Demonstration eines reichen, kleinen Landes, das zeigen will, dass es in vielerlei Hinsicht mittlerweile zur Weltspitze zu zählen ist. Stadtarchitektur, Infrastruktur und Digitalisierung haben hier schon zum Sprung ins 22. Jahrhundert angesetzt. Ob das alles auch nachhaltig ist, werden die nächsten Jahre zeigen müssen.

  • Zwei Wochen Fußball pur – Vergnügen oder Übersättigung?

    Nach gut zwei Wochen bin ich seit heute morgen wieder zu Hause in Lusaka – Frau und Hunde waren glücklich, mich gesund, aber müde wieder zu sehen!

    Ehe ich in den nächsten Tagen eine umfassende Bestandsaufnahme dieser speziellen Fußballreise mache, heute ein paar Gedanken zur Intensität des Gebotenen und dem Spaßfaktor. Selbst eingefleischte Fußballfans hatten bisher nicht die Möglichkeit bei einem Fußball- Großereignis, über mehrere Wochen pro Tag mindestens ein Spiel sehen zu können. Dies wurde nur möglich aufgrund der Ausrichtung der WM in und um eine einzige Stadt herum. Die größte Entfernung zwischen zwei Stadien beträgt gerade einmal 55km (Al Janoub im Süden und Al Bayht im Norden) und alle acht Arenen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Es gab sogar spezielle Shuttle-Busse zwischen den Stadien, damit Fans im Achtelfinale nach dem Nachmittagsspiel auch noch das Abendspiel sehen konnten. Bis zum Ende der Achtelfinals gab es keinen Tag ohne Spiel, während der Gruppenphase sogar bis zu vier Spiele an einem Tag. So kompakten einfach zugänglich Fußball (sofern man eine Karte hatte) gab es noch nie.

    Es gab einige Fans, die dem nicht widerstehen konnten und an einigen Tagen zwei Spiele sahen. Auch wir waren von den Möglichkeiten begeistert und sahen an allen Tagen außer einem jeweils eine Partie. Olaf war mit 14 Spielen (einmal auch zwei an einem Tag) Spitzenreiter,gefolgt von mir mit 13 Partien und OJ mit 12. Es muss aber auch festgehalten werden, dass An- und Abfahrt zu den Spielen einiges an Zeit und Planung kosteten. Am anstrengendsten waren die Abendspiele (um 22.00 Uhr Ortszeit) im Al Bayht Stadion (von denen wir drei hatten), weil selbst die Anfahrt mit dem Taxi mindestens eine Stunde dauerte, gefolgt von einem strammen Fußmarsch von 20-30 Minuten. Bei der Abfahrt vom Stadion mussten wir dann unseren Fahrer finden und aus dem verstopften Parkplatz herauskommen. Wir waren dann oft erst gegen 02.00 Uhr wieder in unserer Unterkunft. Zum Glück kosten Taxis in Katar nicht viel. Die Retourfahrt nach/von Al Bayht kostete pro Person nicht mehr als 10-12€.

    al-Bayht Stadion

    Zu den anderen Stadien fuhren wir teilweise mit der Metro und/oder Bussen, teilweise auch mit Taxis. Kaum einmal dauerte es trotz der effizienten Organisation der Transportwege weniger als sechs Stunden, ein Spiel zu sehen. Da blieb oft nicht allzuviel Zeit, um sich Doha und Katar genauer anzuschauen. Wir schafften es mit einem Mietwagen den Norden Katars zu sehen (mit dem einzigen katarischen UNESCO Weltkulturerbe, dem Fort Al Zubara) und zum Quartier der deutschen Mannschaft zu fahren, beschränkten aber unsere Ausflüge in Doha auf die Skyline an der Corniche (der Strandpromenade, wenn man so will), die (Einkaufs-)Mall of Qatar, den Souk Waqif und das Katara cultural village. Die beiden letzteren Lokalitäten gefielen uns aufgrund der Atmosphäre, der vielen Restaurants und Cafés sehr gut. Bilder von all diesen Ausflügen werde ich noch hochladen, wenn ich herausgefunden habe, wie das geht.

    Corniche bei Nacht
    Mall of Qatar

    Nach zwei Wochen Fußball war ich gestern Abend ziemlich müde und abreisebereit. Aber nicht ohne vorher den aufopferungsvollen Abwehrkampf der Marokkaner gegen weitgehend inspirierte Spanier gesehen zu haben, der bekanntlich mit einem deutlichen marokkanischen Sieg im Elfmeterschießen endete.

    Für das nächste Turnier (EM 2024 in Deutschland und/oder WM 2026 in Nordamerika) werde ich auf jeden Fall nicht wieder ein solches Mammutprogramm planen, das für kulturelle und soziale Unternehmungen nicht genug Raum bietet. Katar war eine einmalige Möglichkeit, den Fußball-Junkie in mir zu befriedigen und die habe ich genutzt. Es zeigte mir aber auch, daß solch andere Aspekte auch wichtig sind, um ein rundum gutes Turnier zu erleben. Katar stellte noch keine Übersättigung an Fußball dar, aber das Gesamtvergnügen kam etwas zu kurz.

  • Die WM als gigantisches Städtebauprogramm

    Gestern sprachen wir mit unserem Taxifahrer (aus Bangladesch) über die Arbeitsbedingungen und seine Erfahrungen in Katar. Das haben wir bisher oft so gemacht und eigentlich nie negative oder kritische Antworten erhalten. Das mag z.T. Selbstschutz gewesen sein, scheint aber auch auf einem wahren Kern zu beruhen. Unser Fahrer, der uns gestern Abend vom Stadion Al Janoub in unser Wohnviertel brachte, erzählte, dass er bereits seit 14 Jahren in Katar arbeite und sich abgesehen von der neun-monatigen Hitze sehr wohl fühlte. Alles sei sauber, gut organisiert und es gebe genug Arbeit. Von seinem Verdienst beim Bau der U-Bahn habe er sich ein Auto anschaffen und sich als Taxifahrer etablieren können.

    al-Janoub-Stadion – wie eine Auster

    Dieser Taxifahrer steht für viele Gastarbeiter aus Pakistan, Indien, Nepal, Bangladesch, Thailand oder den Philippinen, die für die großen Bauprojekte gekommen und danach geblieben sind und im rasch wachsenden Dienstleistungssektor Fuß gefasst haben. Offiziell gibt es wohl nur rund 300.000 katarische Bürger, aber mehr als 3 Millionen Gastarbeiter, die die Wirtschaft am Laufen halten.

    Das katarische Modell der Wirtschaftsentwicklung kann man kurz so beschreiben: in Personalunion führt der Emir das Land politisch und wirtschaftlich. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdgas und etwas Erdöl werden in strategische Projekte gesteckt, die das kleine Land zu einem finanziellen und kommerziellen Dienstleistungszentrum machen sollen.

    Lusail City
  • Wenn der Ball rollt … ist alle Theorie grau

    Die Achtelfinals haben begonnen und die Favoriten beginnen sich herauszuschälen. Für mich gehören neben den üblichen Verdächtigen Argentinien, Brasilien, Frankreich und Spanien auch England, Holland, Portugal und vielleicht sogar Marokko dazu. Andere hoch eingestufte Teams wie Deutschland, Belgien Dänemark, Uruguay und Serbien mussten ja bereits den Heimweg antreten.

    Gestern zeigten sich bereits zwei der potentiellen Favoriten: Frankreich und England. Beide Teams gewannen gegen sicherlich schwächer einzustufende Mannschaften (Polen bzw Senegal) – aber sie siegten souverän. Während beim Titelverteidiger aus Frankreich nach den bisherigen Spielen wohl kaum Zweifel an einer Favoritenrolle bestehen, gehen die Meinungen bezüglich der Engländer auseinander. Auch in unserer kleinen Fangruppe. Doch England hat in den bisherigen vier Spielen bereits beachtliche zwölf Tore geschossen. Der englische Angriff um Harry Kane angetrieben von einem Mittelfeld, in dem Jude Bellingham (von Borussia Dortmund) eine herausragende Leistung bietet, hat bereits 12 Tore geschossen und ist aufgrund der unterschiedlichen Spielertypen schwer auszurechnen. Als Schwachstelle der Engländer könnte sich die Abwehr mit „Stolper-Harry“ Maguire erweisen. Bereits im Viertelfinale gegen Frankreich dürfte besonders die Abwehr getestet werden.

    Im Gegensatz zu England, das ein dominantes und geduldiges Aufbauspiel bevorzugt, agiert Frankreich mit überfallartigen Angriffen und fast schon passiven „Ruhephasen“, in denen es sich auf seine robuste Abwehr um Upamecano (Bayern München) verlässt. Vorne hängt viel von der Durchsetzungskraft von Superstar Kylian Mbappe ab. Bislang hat er hervorragend abgeliefert. Seine beiden Tore gestern im Spiel gegen den Polen waren Weltklasse. Damit steht er bereits bei fünf Toren in diesem Turnier und neun Treffern bei Weltmeisterschaften, obwohl er erst 23 ist. Dem WM-Torrekord von Miroslav Klose (16 Tore) droht bei der nächsten WM in Nordamerika bereits Gefahr. Mein Tipp fürs Viertelfinale ist ein knapper Sieg Frankreichs.

    Abgesehen von Frankreich und England haben wir auch Argentinien, Brasilien und Spanien von den möglichen Favoriten live gesehen. Beeindruckt hat uns davon am meisten Spanien im Spiel gegen Deutschland. Im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Teams weist Spanien keinen Superstar auf, spielt aber als Mannschaft hervorragend zusammen und herausragende Einzelkönner wie Gavi, Pedri oder Olmo hat das Team auch. Die Niederlage gegen Japan ist vor allem auf Auswechselungen und mangelnde Fokussierung,und weniger auf Probleme in der Mannschaft zurückzuführen. Besteht Spanien im Achtelfinale gegen die überraschend spielstarken und schnellen Marokkaner, könnte es weit gehen – ein mögliches Viertelfinale gegen Brasilien wurde ja aufgrund der Niederlage gegen Japan vermieden.

    Brasiliansiche Fans vor dem Spiel gegen Kamerun (0:1)

    Sowohl Argentinien als auch Brasilien scheinen bisher sehr abhängig vom Mitwirken und Form ihrer Superstars Lionel Messi bzw Neymar zu sein. Ohne die Tore des 35-jaehrigen Messi hätte es Argentinien kaum ins Viertelfinale geschafft – aber er muss seine Kräfte einteilen wie das Spiel gegen Australien zeigte, wo er mit rund 8km eine sehr überschaubare Laufleistung erbrachte. Neymar hingegen fehlte Brasilien in zwei der drei Gruppenspiele. Reichte es gegen die Schweiz noch zu einem 1:0 Sieg, verlor die zugegebenermaßen brasilianische B-Elf gegen Kamerun. In beiden Spielen fehlte der Spielwitz und die Struktur im brasilianischen Spiel. Trotzdem und wieder mit Neymar sollte Brasilien heute Abend gegen Südkorea weiterkommen.

    Im bereits feststehenden Viertelfinale Argentinien gegen Holland setze ich momentan eher auf die effizient spielenden „Oranjes“. Die spielen unter Trainer-Methusalix Louis Van Gaal so wie früher die deutsche Mannschaft: aus einer starken Abwehr heraus schnell nach vorne, wo gefährliche Stürmer effizient Tore schießen.

    Portugal spielt bislang unter seinen Möglichkeiten, was vor allem an der Rolle von Diva Ronaldo liegt. Der will es einfach nicht wahrhaben, dass er nicht mehr die Leistung bringt, wie noch bei der letzten WM und sein Team mit der Fokussierung auf ihn an Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit verliert. Solange Portugal nicht sein jenseits von Ronaldo vorhandenes Potential aufruft, könnte bereits gegen die Schweiz Schluss sein.

    Marokko hat bisher mit sehr guten Spielen überrascht, ist schnell und funktioniert auch als Mannschaft. Das Achtelfinale gegen Spanien morgen Abend könnte sehr spannend werden. Ich tippe auf einen knappen spanischen Sieg.

    Gestern sahen wir endlich auch ein Spiel im letzten der acht WM-Stadien, in der Al Thumana Arena. Es war von allen Stadien das mit der schlechtesten Infrastruktur. Die Anfahrt mit Shuttle Bussen dauerte im Abend-Verkehr fast 45 Minuten und dann hielten die Busse etwa zwei Kilometer vom Stadion entfernt. Wir kamen 15 Minuten zu spät zum Anpfiff. Das Innere des Stadions hatte den Charme eines deutschen Parkhauses mit funktionaler, aber kalter Beton-Architektur. Im Gegensatz zu den anderen Stadien gab es weniger Toiletten und Verkaufsstellen für Getränke.

    al-Thumama Stadion

    Heute Abend geht es noch einmal in das im Süden gelegene al Janoub Stadion zum Deutschland-Ersatzspiel Japan gegen Kroatien. Hier erwarte ich ein zähes, enges Spiel, das in einem Elfmeterschießen enden könnte.

    Aber vielleicht liege ich ja mit meinen Einschätzungen völlig daneben. Wenn der Ball ersteinmal rollt, ist alle Theorie grau!

  • Auf einem Stehplatz unter argentinischen Fans

    Gestern gab es für uns das erste Achtelfinale mit der Partie Argentinien gegen Australien. Wir reisten mit gemischten Gefühlen zum Spiel, da wir alle keine Fans von Argentinien sind und wir andererseits Australien maximal eine 10% Chance einräumten. Vor dem Spiel besuchten wir die prächtige „Mall of Qatar“, die direkt neben dem Stadion „Ahmad bin Ali“ liegt. Das ist benannt nach einem früheren katarischen Emir (dem Großonkel des jetzigen Emirs), der in den 60er Jahren den Fußball nach Katar brachte.

    Ahamd-bin-Ali Stadion

    Die Mall ist opulenter und weitläufiger als alles was ich bislang in dieser Hinsicht gesehen habe. Es dominieren Bekleidungsgeschäfte (auch viele Marken, die wir aus Europa kennen) und Parfümerien. Eine Sektion der Mall besteht nur aus Restaurants und Cafés. Dort ergatterten wir einen Tisch mit direkter Sicht auf einen Großbildschirm. Bei schmackhaften Hamburgern sahen wir den holländischen Sieg gegen die USA.

    Public Viewing in der Mall of Qatar

    Anschließend ging es hinüber ins Stadion zum Abendspiel Argentinien gegen Australien. Von aussen sah auch das Ahmad bin Ali Stadion mit seinen wechselnden Illuminationen wieder spektakulär aus. Im Inneren gab es jedoch Probleme mit der Akustik: Lautsprecheransagen waren oft nicht zu verstehen. Das lag z.T. sicherlich an den lauten argentinischen Fans, vor allem aber an der schlechten Modulation der Lautsprecher.

    vor dem Spiel Australien gegen Argentinien

    Für dieses Spiel hatten wir Karten der Kategorie 3 und saßen versetzt hinter einem der Tore – inmitten der argentinischen Fan-Kolonie! Vergebens hoffte ich, dass wir nicht die vier einzigen Nicht-Fans in diesem Meer von blau-weiß gestreiften Messis (jeder zweite argentinische Fan trug Trikots mit Messis Namen) bleiben würden. Schon lange vor Spielbeginn begann der ganze Fan-Block zu singen und rhythmisch auf und ab zu springen, so dass man Angst um die Vibrationsbeständigkeit des Stadions haben konnte. Die auf spanisch gesungenen Anfeuerungslieder handelten vom Traum eines dritten Titels und immer wieder von Messi, der für die Argentinier ein Messias ist.

    Messi überall

    Das rund 40.000 Zuschauer fassende Stadion war zu 80% mit argentinischen Anhängen gefüllt – von denen ein Großteil wirklich aus Argentinien zu stammen schien, wie die das gesamte Stadionrund erfassenden Fangesänge zeigten. Auf unseren Plätzen war an ein Hinsetzen nach dem Anpfiff nicht zu denken. Alle Argentinier standen, um inbrünstig zu singen, zu klatschen und für jede halbwegs gelungene Aktion ihrer Mannschaft frenetisch Beifall zu spenden. Zwar gab es auch einige unbelehrbare Idioten, die beim Abspielen der australischen Nationalhymne pfiffen oder weitersangen, aber die Mehrzahl der argentinischen Fans verhielt sich fair. Wir hatten also Stehplätze zum Preis von immer noch Recht kostspieligen Sitzplätzen (90€)! Aber es war eine besondere Erfahrung.

    Im Vergleich zur Seite einigen Jahren Recht müden deutschen Fan-Kultur, die eher Club-bezogen ist, war die vollständige Identifikation der Argentinier mit ihrem Nationalteam beeindruckend. Messi bedankte sich nach dem Spiel ausdrücklich bei den Fans, die die Mannschaft durchgängig nach vorne getrieben hätten. Auch unser Eindruck war, dass ohne die Fan-Unterstützung die „Albiceleste“, wie die Argentinier auch genannt werden, erheblich größere Probleme mit den kampfstarken und lauffreudigen „Socceroos“ gehabt hätten. Ach ja, Argentinien gewann 2:1 auch dank Messi, der aber gegen den beim Zweitligisten St. Pauli spielenden Jackson Irvine durchaus seine Probleme hatte. Doch seine individuelle Klasse und ein vom australischen Torhüter leichtfertig vertaendelter Ball reichten, um Argentinien ins Viertelfinale zu bringen, wo sie nun auf Holland treffen.

    Australien schaffte es nicht ganz Argentinien standzuhalten
  • Fussballspielen können sie alle…

    Das gestrige Spiel zwischen Kamerun und Brasilien (1:0), zeigte einmal mehr, dass alle Teams Fußball spielen können, es aber auf Taktik, Teamwork und eingespielte Mechanismen ankommt, um erfolgreich zu sein. Brasilien trat mit einer B-Mannschaft an, die bestückt war mit Spielern wie Fernandinho, Militao, Jesus, Martinez oder Antony, deren individuelle Qualität sie wohl in jeder anderen Nationalmannschaft zum Stammspieler gemacht hätte. Sie waren aber miteinander nicht eingespielt, was wir in etlichen Situationen bemerkten, in denen Spielzüge nicht zu Ende gespielt wurden oder Laufwege nicht abgestimmt waren. Diese brillanten Ballzauberer trafen auf eine kamerunische Mannschaft, die weniger elegant und gefällig spielte, dafür aber kämpferisch dagegen hielt und als Team funktionierte. Das späte – und am Ende belanglose – Tor durch Abubakar fiel folgerichtig aus einer Situation heraus, als die neufirmierte brasilianische Abwehr am linken Flügel eine große Lücke aufwies, die Kamerun sofort erkannte und zur präzisen Flanke nutzte.

    Aussenseiter-Sieg: Kamerun gegen Brasilien 1:0

    Ähnliche Spielverläufe gab es bereits bei Tunesien gegen Frankreich (ebenfalls 1:0 für den Außenseiter gegen ein französisches B-Team, dem auch die späte Einwechslung von Mbappe, Dembele, Rabiot und Griezmann nichts mehr nutzte) und Spanien gegen Japan (1:2; hier fehlten Spanien drei Spieler der eingespielten Abwehr und zwei Angreifer).

    Bislang eher als Außenseiter geltende Mannschaften wie Kamerun, Tunesien, Japan oder auch Saudi-Arabien haben durch geschlossene Team-Leistungen Favoriten wie Brasilien, Frankreich, Deutschland, Spanien oder Argentinien besiegen können, die mit nicht eingespielten B-Mannschaften antraten oder Konzentrationsschwächen hatten. Der Abstand der ehemals „kleinen“ Mannschaften zu den Top-Teams ist geringer geworden auch weil mittlerweile auch in diesen Nationalmannschaften kaum noch ein Spieler (Ausnahme ist Saudi-Arabien) nicht in einer der fünf europäischen Top-Ligen spielt. Diese Spieler mögen nicht Superstars sein, aber Fußball spielen können sie alle!

    Lusail Stadion

    Gestern sah ich mein erstes Spiel im imposanten Lusail-Stadion. Obwohl nicht ganz ausverkauft, sahen knapp 86.000 Zuschauer das Spiel. Das Stadion liegt in einer glitzernden nördlichen Vorstadt von Doha, die in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft wurde. Wahrzeichen sind vier sich nach oben schlängelnde Wolkenkratzer, deren graumetallische Fassaden bei Nacht wie mit Diamanten besetzte Zepter funkeln. Zwischen den vier beeindruckenden Türmen ist ein glitzernder Walhai (der im Persischen Golf vor der Küste Katars heimisch ist) aufgehängt, der im ersten Moment wie ein fliegendes Monster aussieht (dabei sind diese Fische eher harmlos). Vor den Glitzertürmen erstreckt sich über mehr als einen Kilometer ein Boulevard mit Restaurants und Luxusgeschäften. Wir fanden ein hippes Restaurant, in dem wir nicht nur essen, sondern auch das WM-Spiel Portugal gegen Südkorea sehen konnten, ehe wir uns auf ins Stadion machten.

    Der fliegende Walhai in Lusail City

    Ab heute stehen die Achtelfinalpartien an, von denen wir noch vier sehen werden. Heute Abend geht es mit Argentinien gegen Australien im Ahmad bin Ali Stadion los.

  • Pech, Millimeter und Fairplay

    Die deutsche Mannschaft ist zum zweiten Mal nach einander bei einer Weltmeisterschaft in der Vorrunde ausgeschieden. War es in Russland eine müde, unmotivierte Mannschaft, die einfach schlecht spielte, so war es diesmal eine Kombination von Pech, einer Millimeter-Entscheidung, die zu unseren Ungunsten ausging und mangelndem Fairplay seitens der Spanier, die zum Scheitern führte.

    Das al Khalifa Stadion: DEU – JAP

    Im Eröffnungsspiel gegen Japan hätte das deutsche Team zur Halbzeit mit mindestens 2:0 führen müssen und kassierte in der 2.Halbzeit zumindest ein Tor ( das 1:2), das wohl nur einmal in 100 Versuchen fällt. Die deutsche Leistung war über 70 Minuten nicht schlecht, 20 Minuten Desorientierung reichten aus, um im Endeffekt auszuscheiden. Das Spiel gegen Spanien gehörte vom Tempo, Intensität und Taktik zum Besten, was die WM bislang zu bieten hatte. Auch hier war ein Sieg möglich (Abseitstor von Rüdiger, Last Minute Chance von Sane)! Als Costa Rica uns mit dem Sieg gegen Japan einen formidablen Rettungsring zuwarf, glaubten wir alle an ein Weiterkommen. Wer konnte sich einen Sieg der eigentlich spielerisch limitierten Japaner gegen die spielstarken Spanier vorstellen?

    Carlos, Olaf, OJ und ich (von re) vor dem al Khalifa Stadion

    Zumindest lieferte die deutsche Mannschaft in einem ziemlich wilden Spiel ab und siegte mit 4:2 gegen Costa Rica. Es hätten auch gut und gerne drei, vier oder gar fünf Tore mehr sein können. Musiala traf zweimal den Pfosten, Füllkrug die Latte und Rüdiger, Gnabry oder Müller verfehlten das Tor nur sehr knapp. Auch die beiden Gegentore wären aus meiner Sicht bei besserem Abwehrverhalten vermeidbar gewesen. Ein Kantersieg mit sieben Toren Unterschied lag also im Bereich des Möglichen und hätte uns beim Torverhältnis gegenüber Spanien geholfen! Aber wie bislang in jedem Spiel fehlten Glück und Millimeter zum Erfolg.

    Olaf und ich an der Zufahrt zum deutschen Teamquartier Zulal
    im al-Bayht Stadion vor dem Spiel gegen Spanien

    Dieses Millimeterglück hatte dann aber Japan: der Video Schiedsrichter sah den Ball in der Entstehung des zweiten japanischen Tores noch nicht im Aus, in anderen Bild-Einstellungen sah es jedoch so aus, als dass der Ball die Grundlinie nicht mehr berührte. Wie dem auch sei, die schlechte Leistung des spanischen Teams, bei dem der Torhüter zuweilen völlig desorientiert war, wirft Fragen nach Fairplay auf. Hätten die Spanier bei einer anderen Tabellen-Konstellation ähnlich unkonzentriert gespielt? Und: spielte Spanien zumindest unterbewusst mit angezogener Handbremse, weil sie Verletzungen (verständlich) und ein Viertelfinale gegen Brasilien (unfair) vermeiden wollten?

    Deutschland ist schon wieder ausgeschieden

    Diesmal ist die deutsche Mannschaft nicht aus reiner Unfähigkeit und Behäbigkeit ausgeschieden, sondern infolge einer kurzen Phase fehlender Konzentration und einer gehörigen Portion Pech. Wie schon der einstige Stürmer Jürgen „Kobra“ Wegmann (Bayern, Dortmund) philosophisch treffend sagte: „Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu“!

    Wir sind zwar alle extrem enttäuscht, werden die verbleibenden fünf Spiele dennoch weiter mit großem Interesse wenngleich mit reduziertem emotionalem Engagement verfolgen. Heute steht als letztes Spiel der Vorrunde noch Brasilien gegen Kamerun an. Danach sehen wir noch die Achtelfinalpartien Frankreich gegen Polen, Australien gegen Argentinien, Kroatien gegen Japan und Marokko gegen Spanien.

  • Der Barbier von Benzema

    Gestern trafen OJ, Olaf und ich den Friseur des Weltfussballers Karim Benzema beim Spiel Tunesien gegen Frankreich. Da wir noch eine Karte für das Spiel übrig hatten (unser Freund Tracy konnte wegen einer Zahnoperation bislang noch nicht kommen), bot Olaf sie vor dem Stadion an. Ein blondierter, mit goldener Designer-Brille ausstaffierter junger Mann war der einzigste der Interesse zeigte. Er war total glücklich, noch ein Ticket zu bekommen und erzählte Olaf, dass Benzema ihm Tickets versprochen hatte, aber aufgrund seiner Verletzung nicht im französischen Kader sei und daher auch keine Tickets verteilen könne. Er zeigte uns auf seinem Handy Bilder von ihm und Benzema. Als gebürtigem Algerier, der in Paris ansässig ist, schlugen zwei Fußballherzen in seiner Brust. Im Endeffekt jubelte er bei Tunesiens Tor!

    Das “Education City” Stadion mit einem Fassungsvermögen von knapp 45.000 Zuschauern war gestern für das Tunesien-Spiel fast vollständig gefüllt. Dreiviertel der Zuschauer unterstützten den Außenseiter Tunesien, wobei sich die Frage stellt, woher sollen mehr als 30.000 Tunesier kommen. Einerseits aus der großen tunesischen Gastarbeiter-Population in Katar und andererseits von den Fans anderer arabisch-sprachiger Länder. Letzteres ist ein Phänomen, wie wir es in den vorherigen Weltmeisterschaften nur bedingt beobachten konnten: geografische oder sprachliche Verbundenheit drückt sich in gegenseitiger Unterstützung bei den Spielen aus. Mexikaner unterstützen Ecuadorianer und selbst Argentinier und umgekehrt. Am stärksten ist die gegenseitige Unterstützung aber unter den arabisch-sprachigen Ländern. Saudis und Kataris, politisch eher spinnefeind, fanden sich zur wechselseitigen Anfeuerung ihrer Teams zusammen (obwohl es bei der Mannschaft aus Katar nicht viel anzufeuern oder gar zu bejubeln gab: Katar ist der schlechteste aller WM-Gastgeber!); Gastarbeiter aus Ägypten jubeln Tunesien und Marokko genauso zu wie Saudi-Arabien oder gar dem Iran. Nur die afrikanische Solidarität scheint weniger ausgeprägt zu sein.

    Education City Stadion

    Für die Länder des nahen und mittleren Ostens richtet Katar eine arabische Weltmeisterschaft aus, die eben in Katar stattfindet, weil es sich dieses Land leisten kann. Das ist ein Aspekt, der bislang eher wenig thematisiert wurde, aber zum Verständnis der WM wichtig ist. Westliche Kritik – so berechtigt sie uns auch erscheinen mag – tropft hier nicht nur ab, sondern erweckt empörtes Unverständnis. Diese Kritik kommt in der Region als überzogen, kolonialistisch (“man gönnt es uns als Arabern nicht, die WM auszurichten”) und mit einer Doppelmoral behaftet ( warum gab es diese Kritik nicht zur WM in Russland, das vier Jahre zuvor die Krim illegal annektiert hatte?) an. Kritik ist meiner Meinung nach vor allem gegenüber der intransparenten und Katar gegenüber devoten FIFA angebracht. Aber dazu ein anderes Mal.

    Wurde das französische B-Team, das zunächst auflief, und von den hochmotivierten Tunesiern ein uns andere Mal in Verlegenheit gebracht wurde, nur moderat von den tunesischen Fans ausgepfiffen, steigerten sich die Pfiffe und Buhrufe in ein ohrenbetäubendes Crescendo, als nach 60 Minuten der französische Star Kylian Mbappe eingewechselt wurde. Jedesmal, wenn er den Ball erhielt explodierte das Stadion. Unser neben uns sitzender Barbier von Benzema, erklärte das mit der Angst der Zuschauer, dass Mbappe das Spiel – es stand zwischenzeitlich 1:0 für Tunesien – noch drehen könnte. Am Ende siegte Tunesien glücklich mit 1:0, weil der Schiedsrichter ein in letzter Sekunde erzieltes Tor der Franzosen aufgrund einer obskuren Abseitsregel (es ist auch dann abseits, wenn der Ball in unkontrollierter Weise vom Gegner kommt) nicht anerkannte.

    Ach ja, ich ging gestern auch zu einem Barbier, um mir Haare und Bart stutzen zu lassen – meiner kam aus Sri Lanka,

    Im Bus auf dem Weg ins Apartment
  • Arrogante Trommler

    Mit dem Spiel Ecuador gegen Senegal hatten Olaf und ich uns eine Partie ausgesucht, in der beide Teams noch den Einzug ins Achtelfinale realisieren konnten. Ecuador reichte ein Unentschieden, der Senegal musste gewinnen. Wir fuhren mit Bus und Metro zum Khalifa-Stadion (wo die deutsche Mannschaft gegen Japan verlor). An der zweiten Haltestation drängte plötzlich eine Gruppe von singenden Senegal-Fans in den bereits ziemlich vollen U-Bahnwagen und verbreiteten WM-Stimmung. Auf dem Weg ins Stadion zeigte sich dann aber an den gelben Trikots, dass die Anhänger Ecuadors in der Überzahl waren – und zwar signifikant.
    Das Stadion-Vorfeld am Khalifa ist sehr großzügig ausgelegt und hat mit dem in verschiedenen Farben illuminierten Tower sowie einer aus der Entfernung an eine Kombination aus Flaschenöffner und dem Symbol der Automarke Opel erinnernde Skulptur zwei leicht wieder zu erkennende Wahrzeichen. Trotz großen Andrangs gelangten wir entspannt zum Block mit unseren Plätzen, fanden diese aber schon von zwei Senegalesen belegt vor. Die gaben vor kein Englisch zu können und reagierten auch auf französische Ansprache nicht, sondern blieben einfach stur sitzen. Der herbei eilende Sicherheitsmann hatte wohl auch keine Lust auf Ärger und wies uns zwei leere Plätze eine Reihe höher zu. Da in dieser Reihe noch viele Sitze leer waren, nahmen wir an, von hier aus das Spiel sehen zu können.

    Obwohl im Stadion die gelben Farbe der Ecuador Fans überwog, waren wir im einzigen von den Senegalesen dominierten Teil gelandet. Wir waren umgegeben von z.T. skurril verkleideten Senegalesen – einer trug einen Löwenkopf, ein anderer war als afrikanischer Medizinmann ausstaffiert -, tanzenden Frauengruppen und Fahnen schwenkenden Fans in grün, rot und gelb gekleidet. Am beeindruckensten war eine Gruppe aus rund 20 in den Nationalfarben gewandeten Frauen, die zu den Klängen von traditionellen afrikanischen Trommeln in einer Tour tanzten und rhythmisch Schellen zusammen schlugen. Die Gruppe erzeugte über die gesamte Spieldauer hindurch eine infernalische Geräuschkulisse, bei der wir kaum mitbekamen, wie der Rest des Stadions auf das Spiel reagierte. Die nicht-senegalesischen Zuschauer in unserer Umgebung waren so fasziniert, dass sie kaum noch auf das Spiel achteten, sondern die senegalesische Tribünen-Präsenz filmten und fotografierten.

    Aber zurück zu unseren Plätzen: fünf Minuten nach Spielbeginn tauchten plötzlich zwei Ecuadorianer auf, die Tickets für unsere Plätze hatten und natürlich darauf bestanden, diese auch einnehmen zu können. Beim Lärm der Trommler konnten wir uns kaum verständigen, die Ecuadorianer konnten wohl auch kein Englisch, so dass die Situation in einem Patt zu münden schien – wir saßen, die anderen standen – bis drei Ordner erschienen. Die versuchten, die auf unseren Plätzen kampierenden Senegalesen zum Aufstehen zu überreden, wurden aber sofort von etlichen anderen Senegalesen aggressiv angegangen und bedroht. Der einzig de-eskalierende Ausweg war, dass Olaf und ich zwei noch freie Plätze etwa zehn Reihen weiter oben einnahmen. Die Ordner hätten sonst einen aggressiven Block mit mehr als 200 Senegalesen gegen sich gehabt.

    In meinen mehr als 30 Jahren in Afrika habe ich solch unfreundliches und aggressiv aufgeladenes Verhalten noch nicht erlebt. Neigten wir zu Beginn eher dem Senegal zu, hielten wir danach – leider vergeblich – Ecuador die Daumen gedrückt. Das Spiel konnten wir zumindest ohne Sound – es war ja alles von den Trommlern überlagert – weiter verfolgen, ohne dass es noch wirklich Begeisterung erweckte. Im Achtelfinale spielen jetzt die Engländer gegen die Senegalesen – mal sehen, was bei einem Zusammenstoß der notorisch aggressiven und pöbelnden englischen Fans mit diesen Senegalesen passiert.

    Heuete Abend steht für uns das Spiel Frankreich gegen Tunesien im Education City Stadion an. Hoffentlich ist die Stimmung dort wieder besser.