Fata Morgana oder Science Fiction in der Wüste?

Nachdem ich jetzt wieder zurück in Lusaka bin, ist es an der Zeit, meine speziellen Eindrücke von der WM in Katar niederzuschreiben, ehe sie allzu sehr verblassen oder eine eigene Wirklichkeit entwickeln.

Sportlich gesehen hat mich die WM ein wenig enttäuscht. Viele spielerisch eher limitierte Mannschaften haben mit zwei Abwehrriegeln gespielt – also „zwei Busse vor dem Tor geparkt“, wie das einer meiner Freunde treffend beschrieb – und vorne auf Glück (oder den lieben Gott) bzw. ab dem Achtelfinale das Elfmeterschießen gehofft. Das hat zu etlichen umkämpften, aber nicht allzu ansehnlichen Partien geführt (wie Spanien – Marokko, Japan – Costa Rica, Kamerun – Schweiz, Argentinien – Australien). Natürlich gab es auch technisch und taktische Leckerbissen mit etlichen Toren wie die Spiele von England gegen Iran, Spanien gegen Costa Rica, Brasilien gegen Südkorea oder Portugal gegen die arme Schweiz und nicht zu vergessen das Unentschieden zwischen Spanien und Deutschland. Aber das Gros der Spiele war nicht von Technik, Spielvermögen und Taktik geprägt, sondern von Kampf, Abwehrriegeln und theatralischem Opfergehabe einiger Spieler. Leider hatten wir weder die Zeit noch die Mittel, um auch die zweite Hälfte des Turniers vor Ort live zu verfolgen – ich gehe davon aus, dass die Spiele jetzt rasant an Qualität und Tempo zulegen werden.

Wohl nicht nur ich bin mit einem leicht flauen Gefühl im Magen nach Katar angereist – zu negativ waren die Nachrichten über bürokratische Hürden, exorbitante Preise, potentiell überlastete öffentliche Infrastruktur und digitale Überwachung und Bespitzelung. Kaum etwas davon hat sich bewahrheitet. Schon die Einreise – nachdem ich erst die Hayya-Karte und dann die Einreisegenehmigung rechtzeitig vor Abreise elektronisch erhalten hatte – war einfach: nach 15 Minuten hatte ich Passkontrolle und Zoll durchquert (ob ich auch Alkohol hätte einschmuggeln können?) und saß im Taxi zum Apartment. Alle elektronischen Aktivierungen meiner Tickets sowie die Übertragung eines weiteren Tickets vom Konto eines Kollegen klappten ohne ein einziges Problem. Um die Besucher sofort digital mobil zu machen, verteilten zwei Mobil-Telefonfirmen überall SIM-Karten mit freiem Datenvolumen für bis zu drei Tagen.

Das Preisniveau war – abgesehen von den Luxus-Oasen – sehr moderat. Im Supermarkt kosteten die Lebensmittel, die z.T. aus Australien/Neuseeland oder Europa importiert werden, auch nicht viel mehr als in Europa. Wir hatten alle in Sorge um erhöhte Preise Lebensmittel aus unseren Heimatorten mitgebracht, was aber eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Noch preiswerter sind geteilte Taxifahrten: die kosteten kaum mehr als in Europa eine Metro-Karte und waren eine willkommene Ergänzung zum Angebot mit der kostenlosen Metro. Auch Restaurantbesuche waren gut erschwinglich. In einem ägyptischen Fischrestaurant, das wir mehrere Male aufsuchten (al Qarmaty) gab es köstliche Meeresfrüchtesuppen gefolgt von gegrilltem Seebarsch für 20€. Also auch hier falsche Befürchtungen.

Busse und Bahnen waren zwar manchmal voll und wir mussten auch mal einen weiteren Bus bzw. Zug abwarten, aber von einer Überlastung der öffentlichen Verkehrsmittel war nichts zu spüren. Wenn es mal zu kurzfristigen Blockaden kam, dann auf den Zufahrtswegen zu den Stadien. Doch hier regelten unzählige Polizisten – übrigens alle mit neuen AUDI Q7 ausgerüstet! – den Verkehr, so dass es keine langfristigen Probleme gab. Taxis, die sich nicht an die Regeln hielten (etwa keine Passagier auf den Zufahrtstrassen aussteigen zu lassen) wurden sofort fotografiert und später mit einer Strafe von 500 Rial (etwa 160€) belegt. Über die hochmoderne Metro, die ohne Zugführer einen 3-Minuten Rhythmus einhält, hatte ich ja schon berichtet. Doch auch die Flotte an modernen und weitgehend mit WM-Design versehenen Busse ist der Erwähnung wert. Sie dienten in erster Linie als Shuttle-Busse für die nicht direkt an die Metro angeschlossenen Stadien oder zwischen den Stadien. Nach unseren Schätzungen müssen mindestens 400-500 Busse für die WM angeschafft worden sein – wer übernimmt sie nach dem Turnier?

Digitale Überwachung oder gar Bespitzelung haben wir nicht bemerkt, aber wenn es gut gemacht ist, merkt man davon ja auch nichts! Es gab nur zwei kleine digitale Beeinträchtigungen. Mit meiner katarischen SIM-Karte funktionierte das Telefonieren über WhatsApp nach Europa nicht und einige Banken (glücklicherweise keine Geschäfte und Restaurants) akzeptierten meine VISA-Karte nicht.

Ansonsten sind mir ein paar skurrile Sachen aufgefallen, die ich auch gerne erwähnen möchte:

  • in einem frisch angelegten Park (eigentlich eine große Grünanlage) hörte ich lautes Vogelzwitschern ohne irgendwelche Vögel zu sehen. Des Rätsels Lösung: die Vogellaute kamen aus Lautsprechern, die überall im Park aufgehängt waren.
  • in unserem Viertel krähten fast ohne Unterlass Hähne – ob dies auch aus einem Lautsprecher kam, konnten wir nicht feststellen!
  • in den Stadien gab es wie angekündigt kein Bier (nur ungenießbares alkoholfreies Budweiser) nur Soft-Drinks und Wasser. Das Besondere: nach dem Kauf erhielt man die Flasche ohne Verschluss. Der wurde vom Verkäufer entfernt, ehe die Flasche überreicht wurde. Warum blieb uns ein Rätsel, denn auch mit unverschlossenen Flaschen konnte man ja noch werfen, wenn man gewollt hätte. Es gab nur öfter mal nasse Füße, wenn mal wieder jemand seine unverschlossene Flasche umgestoßen hatte.
  • nicht nur in unserem Viertel, sondern eigentlich überall, wo es kleine Geschäfte gab, dominierten Friseur-Salons und Wäschereien. Einen dieser Friseur-Salons probierte ich ja mit positivem Ergebnis aus (siehe Bericht über den Barbier von Benzema); er wurde von Leuten aus Sri Lanka geführt und hatte eigentlich immer Kundschaft (wir kamen auf dem Weg zum Bus daran vorbei).
  • auf den bis zu zehnspurigen Stadt-Autobahnen herrschte recht viel Verkehr, der z.T. ziemlich wild war. Eine Besonderheit: kaum jemand machte vom Blinker Gebrauch, sondern wechselte einfach die Spur, wenn der Platz ausreichend schien.

Die WM in Katar ist bislang eine weitgehend perfekt organisierte Veranstaltung – keine Fata Morgana in der Wüste, wie es wohl einige Journalisten, Aktivisten und Politiker gerne gesehen hätte. Diese WM ist vielmehr eine futuristisch anmutende Demonstration eines reichen, kleinen Landes, das zeigen will, dass es in vielerlei Hinsicht mittlerweile zur Weltspitze zu zählen ist. Stadtarchitektur, Infrastruktur und Digitalisierung haben hier schon zum Sprung ins 22. Jahrhundert angesetzt. Ob das alles auch nachhaltig ist, werden die nächsten Jahre zeigen müssen.

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